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https://iclfi.org/spartacist/de/34/puertorico

Dieser Artikel basiert auf einem Antrag der Genossin Maxine, der auf der Internationalen Konferenz angenommen wurde.

Von den Massenprotesten gegen das von den US-Imperialisten durchgesetzte PROMESA [Gesetz, das eine kolonialistische Finanzaufsicht kreiiert hat] über den Kampf gegen die Privatisierung von Strom und Wasser bis hin zu den verheerenden Hurrikans, der Pandemie und dem Wiederaufflammen der Independentista-Bewegung: Die puerto-ricanischen Massen brauchen dringend eine kommunistische Führung, die mit einem antiimperialistischen Programm bewaffnet und dem Kampf für Unabhängigkeit und Sozialismus verpflichtet ist.

Im Programm der IKL seit 1993 wurde jedoch selbst der Kampf für die puerto-ricanische Unabhängigkeit abgelehnt. Die Begründung dafür wurde 1998 in einer Präsentation des Genossen Jim Robertson dargelegt:

„Weil wir rassischen Chauvinismus auf dem Festland und Nationalismus auf der Insel bekämpfen wollen, treten wir entschieden für Unabhängigkeit ein, wobei uns aber bewusst ist, dass die Bevölkerung zutiefst ambivalent ist. Darum ist unsere zentrale Stoßrichtung das Recht auf Selbstbestimmung. Während unsere Position von hier [den USA] aus gesehen tatsächlich die Selbstbestimmung ist, sollte sie von Puerto Rico aus der Kampf für Arbeitermacht sein. Die siegreichen Arbeiter sollten die Entscheidung treffen, wie sie ihre proletarische Selbstbestimmung ausüben werden, je nach der jeweiligen aktuellen Situation auf der Welt und in der Karibik.“

– zitiert in „Der Kampf gegen die chauvinistische Hydra“, Spartacist (deutschsprachige Ausgabe) Nr. 31, Herbst 2017

Lasst uns eine Sache klarstellen. Die puerto-ricanische Arbeiterklasse und die unterdrückten Massen wollen Unabhängigkeit, aber sie wollen nicht verarmt sein. Das ist der Grund, warum die Massen der Boricua [aus Puerto Rico stammend] nicht für die Unabhängigkeit stimmen – nicht weil sie der Unabhängigkeit „ambivalent“ gegenüberstehen, sondern weil sie die nationalistische Forderung nach Unabhängigkeit unter dem Kapitalismus zu Recht als weitere wirtschaftliche Verelendung unter denselben Herren ansehen. Anstatt eine Antwort auf diese reale Furcht zu geben, haben wir sie als Vorwand genommen, um den Kampf für die Unabhängigkeit fallen zu lassen.

Kommunisten setzen sich für die Unabhängigkeit Puerto Ricos ein, weil es eine unterdrückte Kolonie ist und wir gegen die nationale Unterdrückung sind, und nicht, weil unser Ausgangspunkt ist, dass „wir rassischen Chauvinismus auf dem Festland und Nationalismus auf der Insel bekämpfen wollen“. In Bedingung 8 der „Leitsätze über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale“ heißt es:

„In der Frage der Kolonien und der unterdrückten Nationen ist eine besonders ausgeprägte und klare Stellung der Parteien in denjenigen Ländern notwendig, deren Bourgeoisie im Besitze von Kolonien ist und andere Nationen unterdrückt. Jede Partei, die der III. Internationale anzugehören wünscht, ist verpflichtet, die Kniffe ‚ihrer‘ Imperialisten in den Kolonien zu entlarven, jede Freiheitsbewegung in den Kolonien nicht nur in Worten, sondern durch Taten zu unterstützen, die Verjagung ihrer einheimischen Imperialisten aus den Kolonien zu fordern, in den Herzen der Arbeiter ihres Landes ein wirklich brüderliches Verhältnis zu der arbeitenden Bevölkerung der Kolonien und zu den unterdrückten Nationen zu erziehen und in den Truppen ihres Landes eine systematische Agitation gegen jegliche Unterdrückung der kolonialen Völker zu führen.“

Das Internationale Konferenzdokument der IKL von 2017 korrigierte die Ablehnung der Unabhängigkeit Puerto Ricos in unserer Presse und behauptete, dass der Kampf für Unabhängigkeit eine treibende Kraft für die Revolution sei. Gleichzeitig wurde behauptet, die oben zitierte Formulierung des Genossen Robertson „kodifiziert … unsere antikoloniale Haltung von den USA aus … und unsere Perspektive für permanente Revolution angewandt auf Puerto Rico“.

Dies war sowohl eine zentristische Vernebelung als auch eine Entstellung der permanenten Revolution. In Robertsons Präsentation heißt es zwar, dass wir „für Unabhängigkeit eintreten“. Es heißt aber nicht, dass wir für die Unabhängigkeit kämpfen. Ein Schlüsselargument von uns war, dass „wir als Leninisten nicht versuchen, ihnen [den Puerto Ricanern] unseren Standpunkt aufzuzwingen und darauf zu bestehen, dass sie sich lostrennen“, und daher „betonen wir das Recht auf Selbstbestimmung“. Damit wird fälschlicherweise die „Stimmung der Bevölkerung“ zur Grundlage für die Intervention in die puerto-ricanische Arbeiterbewegung gemacht und nicht der prinzipielle Widerstand gegen die imperialistische Unterdrückung.

Robertsons Bericht von 1998 ist keine Anwendung der permanenten Revolution. Er argumentiert, dass wir im Gegensatz zu den USA, wo wir auf Selbstbestimmung für Puerto Rico bestehen, auf der Insel selbst auf „Arbeitermacht“ bestehen sollten. Damit wird die demokratische Aufgabe entgegengestellt zur Notwendigkeit einer sozialistischen Revolution, obwohl beide Kämpfe miteinander verflochten sind. Nur durch die Verknüpfung des Kampfes für die nationale Befreiung und des Kampfes für den Sozialismus lässt sich die permanente Revolution für Puerto Rico vorantreiben. Nur so lässt sich die imperialistische Erpressung durchbrechen, die mit noch größerer Verwüstung droht, sollte Puerto Rico die Unabhängigkeit erkämpfen. Im Gegenteil, die beiden Kämpfe zu trennen verrät die nationalen Bestrebungen der Massen, verzichtet auf den antiimperialistischen Kampf und überlässt die Führung der Unabhängigkeitsbewegung den Nationalisten.

Der Kampf für die Unabhängigkeit ist eine treibende Kraft für die Revolution in Puerto Rico und ein potenzieller Funke für die Revolution in der gesamten Region. Der revolutionäre Sturz des US-Imperialismus erfordert den gemeinsamen Kampf zwischen dem amerikanischen Proletariat und den puerto-ricanischen Massen, der sich auf die ganze Karibik ausdehnt. Heißt das, dass wir das Proletariat der Insel auffordern sollten, passiv auf die Revolution in den USA zu warten? Nein. Der Kampf für die nationale Befreiung kann und muss in eine sozialistische Revolution übergehen und ohne Unterbrechung fortgesetzt werden. Auf dieser Grundlage kämpfen wir für permanente Revolution in Boriquén und für eine sozialistische Föderation der Karibik.

Anstatt das Argument für die revolutionäre Einheit auf der Grundlage des Kampfes zum Sturz des US-Imperialismus vorzubringen, trat die IKL für eine Einheit auf der Grundlage des liberalen Internationalismus ein und behauptete, die Hauptaufgabe der amerikanischen Arbeiter bestehe darin, „den rassischen Chauvinismus auf dem Festland“ zu bekämpfen. Die Avantgarde des Proletariats wird die Arbeiterklasse nicht durch moralische Predigten vereinen, sondern dadurch, dass sie die Arbeiterklasse im gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus führt. Sie muss zeigen, wie der Kampf des amerikanischen Proletariats für seine eigene Verteidigung der eine Teil des Kampfes ist und der Kampf der puerto-ricanischen Massen zusammen mit den übrigen Völkern Lateinamerikas für ihre Befreiung der andere Teil ist. Nach und nach im Verlauf dieser beiden Kämpfe werden diese Arbeiter erkennen, dass zwischen ihnen ein objektives Bündnis besteht, das auf der Beendigung der imperialistischen Tyrannei der USA beruht. Wie Trotzki schrieb:

„Diese Union wird sich natürlich als umso wirksamer und fruchtbarer erweisen, je früher und besser die Avantgarde des amerikanischen Proletariats – im Norden, im Zentrum und im Süden – die Notwendigkeit der engsten revolutionären Zusammenarbeit im Kampf gegen den gemeinsamen Feind verstehen wird. Diese Verbindung aufzudecken, zu erklären und zu organisieren – darin besteht auch eine der wichtigsten Aufgaben der IV. Internationale.“

– „Unwissenheit ist kein Werkzeug der Revolution“ (1939)